Der Blogger, Journalist und Science-Fiction-Autor Cory Doctorow hat in einem Blogpost bei der Electronic Frontier Foundation zwei Prinzipien aufgestellt, die bei der Regulierung von Plattformen berücksichtigt werden sollten. Sie sollen dazu beitragen, den Nutzer:innen ihre Macht zurückzugeben. Doctorow schlägt zum einen vor, das Prinzip „Ende-zu-Ende“ vom Internet auf Plattformen zu übertragen. Zum anderen sollen Menschen bei Plattformen aussteigen und ihre Daten auf andere Plattformen umziehen können.
Die Betreiber der Plattformen wollen, so Doctorow, vor allem eines: Geld an ihren Nutzer:innen verdienen. Sie machten ihren Nutzer:innen daher am Anfang ein verlockendes Angebot, das sie dann schrittweise zurückdrehen oder gar umkehren würden. Dies geschehe unter anderem durch Ausspionieren, durch Ausbremsen von Inhalten mit Hilfe von Algorithmen und durch eine Veränderung der Inhalte, die Nutzer:innen angezeigt werden. Betroffen seien sowohl Privat- als auch auf Geschäftskunden.
Wirksam schützen könnten sich die Nutzer:innen gegen solche Methoden nur dadurch, dass sie die Kontrolle über ihr digitales Leben erhielten, so Doctorow. Dafür brauche es aber nicht Spezialregeln für jede einzelne Plattform. Stattdessen müssten laut Doctorow übergeordnete Prinzipien angewandt werden, da dies leichter umzusetzen seien.
Doctorow, der den Artikel mit Blick auf die Regulierung in den USA geschrieben hat, schlägt vor, dass die Prinzipien behutsam in die Gesetzgebung einfließen oder aber zunächst auf freiwilliger Basis implementiert werden.
In Blogbeitrag heißt es zum 1. Prinzip:
Prinzip 1: Von Anfang bis Ende – geneigte Hörer:innen mit geneigten Sprecher:innen verbinden
Das Ende-zu-Ende-Prinzip ist ein Grundgedanke des Internets, der besagt, dass die Aufgabe eines Netzes darin besteht, Daten von bereitwilligen Sender:innen zu bereitwilligen Empfänger:innen zuverlässig zu übertragen. Diese Idee hat im Laufe der Jahrzehnte, seit sie 1981 formalisiert wurde, viele Gestalten angenommen. Ein bekanntes Beispiel ist die Idee der Netzneutralität, die besagt, dass euer Internetdienstanbieter die von euch angeforderten Daten so schnell und zuverlässig wie möglich an euch übermitteln sollte. Ein neutraler Internetdienstanbieter verwendet dazu beispielsweise die gleiche „Best-Effort“-Methode, um die von euch angeforderten Videos zu liefern. Ein nicht-neutraler Internetdienstanbieter verwendet diese Methode hingegen nur für die Videos des eigenen Streamingdienstes, während er die Videos der Konkurrenz verlangsamt.
Ihr habt euch bei eurem Internetdienstanbieter angemeldet, um die von euch gewünschten Inhalte und Verbindungen zu erhalten – und nicht jene, die sich die Investoren des Internetdienstanbieters von euch gewünscht hätten.
Wir sind der Meinung, dass eine Version des Ende-zu-Ende-Prinzips auch in der „Diensteschicht“ des Internets eine Rolle spielen sollte, sei es in den sozialen Medien, bei der Suche, im elektronischen Handel oder bei der E-Mail. Im Folgenden einige Beispiele:
- Soziale Medien: Wenn ihr den Feed einer Person abonniert, solltet ihr sehen, was diese Person postet. […] Empfehlungssysteme haben ihre Berechtigung. Aber Nutzer:innen sozialer Medien sollten immer die Aktualisierungen sehen können, die von den Personen gepostet werden, die ihnen wichtig genug sind, um ihnen zu folgen, ohne sich vorher durch Beiträge von Personen durcharbeiten müssen, die die Plattform fördern will (oder für die sie bezahlt wird).
- Suche: Wenn eine Suchmaschine eine exakte Übereinstimmung für die gesuchte Sache hat – zum Beispiel ein verifiziertes lokales Händlerverzeichnis oder ein einzelnes Dokument mit dem exakten Titel, den ihr sucht, oder eine Website, deren Name mit eurem Suchbegriff übereinstimmt –, dann sollte dieses Ergebnis ganz oben auf dem Ergebnisbildschirm erscheinen. Oben stehen sollten hingegen nicht gleich mehrere Anzeigen ähnlicher Unternehmen oder – noch schlimmer – betrügerische Websites, die vorgeben, ähnliche Unternehmen zu repräsentieren und die für diese Position auf der Seite bezahlen.
- Online-Shops: Wenn eine E-Commerce-Plattform eine exakte Übereinstimmung mit dem von euch gesuchten Produkt hat – entweder nach dem Namen oder nach der Teil-/Modellnummer –, sollte dieses Ergebnis das oberste Ergebnis für eure Suche sein. Und zwar noch vor den eigenen gleichwertigen Produkten der Plattform oder „gesponserten“ Ergebnissen für ähnliche Produkte.
- E-Mail: Wenn ihr einen Absender als vertrauenswürdig markiert, sollte dessen E-Mail niemals in einem Spam-Ordner landen. (Allerdings ist es in Ordnung, Warnungen über bösartige Anhänge oder Links zu Nachrichten hinzuzufügen, die von Scannern markiert wurden.) Es sollte einfach möglich sein, einen Absender als vertrauenswürdig zu markieren. Absender in eurem Adressbuch sollten automatisch als vertrauenswürdig eingestuft werden.
Neben diesem Ende-zu-Ende-Prinzip formuliert Doctorow ein „Recht auf Ausstieg“ bei einer Plattform:
Prinzip 2: Recht auf Ausstieg – schlechte Plattformen als Schaden behandeln und sie umgehen
Viele Menschen mögen die großen Plattformen nicht. Sie haben aber das Gefühl, dass sie sie nicht verlassen können. Die Nutzer:innen sozialer Medien sind aufgrund des „Problems des kollektiven Handelns“ gefangen. Sie müssten demnach alle ihre Freunde davon überzeugen, die Plattform zu verlassen, und sich zudem darauf einigen, wohin sie gehen sollen. Künstler:innen und Kulturschaffende sind gefangen, weil ihr Publikum ihnen nicht auf neue Plattformen folgen kann, ohne die Medien zu verlieren, für die sie bezahlt haben. (Und das Publikum kann nicht gehen, weil die Künstler:innen, die sie mögen, auf den Plattformen festsitzen).
Eine erleichterte Abwanderung von Plattformnutzer:innen hätte zwei wichtige Auswirkungen: Sie diszipliniert zum einen die Plattformbetreiber […], weil diese wissen, dass eine Verschlechterung ihrer Plattformen einen Massenexodus von Nutzer:innen auslösen wird. Sie könnten die Plattform verlassen, ohne einen hohen Preis dafür zu zahlen. Auslöser für einen solchen Massenexodus sind zum Beispiel das Zulassen von Belästigung und Betrug sowie verstärkte Überwachung, höhere Preise und invasive Werbung.
Genauso wichtig: Wenn Plattformen durch diese Drohung nicht diszipliniert werden, können die Nutzer diese Plattform als schädlich betrachten und meiden. Das ist der Teil des freien Marktes, den diese Unternehmen immer wieder versuchen zu vergessen: Die Verbraucher:innen sollen mit den Füßen abstimmen können. Aber wenn man den Kontakt zu seinen Freund:innen und seiner Familie verliert, wenn man einen schlechten Dienst verlässt, kann man sich nicht wirklich für die bessere Option entscheiden.
Und ist das Wechseln von Plattformen einfach möglich, dann ergibt sich daraus eine Welt, in der Tüftler:innen, Genossenschaften und Start-ups einen Grund haben, Alternativen zu entwickeln, zu denen die Nutzer:innen wechseln können.
- Soziale Medien: “Interoperable“ Social-Media-Plattformen sind miteinander verbunden. Sie ermöglichen es den Nutzer:innen, Nachrichten auszutauschen und an Communities aus „föderierten“ Servern teilzunehmen, die jeweils ihr eigenes Management, Geschäftsmodell und ihre eigenen Richtlinien haben. Dienste, die auf dem offenen ActivityPub-Dienst basieren (wie Mastodon), sind so konzipiert, dass sie den Wechsel leicht machen. […] Bestehende Datenschutzgesetze wie das CCPA und die DSGVO verpflichten Online-Diensteanbieter bereits, Ihre Daten auf Anfrage herauszugeben. Diese sollten auch all jene Dateien enthalten, die für den Wechsel von einem Server zum anderen benötigt werden. Die Regulierungsbehörden, die die Moderationspraktiken der großen Social-Media-Plattformen verbessern wollen, sollten auch das Recht der Plattformnutzer auf Ausstieg sichern. Gewiss, wir sollten die großen Plattformen besser machen, aber wir sollten es auch einfacher machen, diese zu verlassen.
- DRM-gesperrte Medien: Die meisten Medien, die in Online-Shops verkauft werden, sind mit einer Technologie zur Verwaltung digitaler Rechte („Digital Rights Management“) ausgestattet. Sie verhindert, dass die Käufer die Medien mit nicht autorisierten Tools abspielen können. Das bindet das Publikum an Plattformen. Denn wenn sich Nutzer:innen von einer Plattform trennen, werden die gekauften Medien für sie nutzlos. Es bindet zudem ausübende Künstler:innen und Urheber:innen an diese Plattformen. Auch sie können nicht zur Konkurrenz wechseln, die sie besser behandelt und ihnen mehr zahlt, weil ihr Publikum ihnen nicht folgen kann, ohne dass sie ihre früheren Käufe verliert. Auf Medien angewandt, würde das „Ausstiegsrecht“ die Plattformen dazu verpflichten, die Kommunikation zwischen Käufer:innen und Medienschaffenden zu erleichtern. Ein Urheber, der zu einer konkurrierenden Plattform wechselt, könnte diese Möglichkeit nutzen, um allen Käufer:innen seiner Werke Download-Codes für eine neue Plattform zukommen zu lassen, die von der alten Plattform an die Kunden des Urhebers weitergeleitet würden. Ebenso könnten Kund:innen, die zu einem anderen Shop gewechselt haben, über die Plattform Nachrichten an die Urheber senden und um Download-Codes für den neuen Dienst bitten.
Doctorow hält die beiden Prinzipien nicht nur für einfach überprüfbar, sondern auch für kostengünstig für alle, die neu in den Markt eintreten. Sie würden im Gegensatz zu anderen Formen der Regulierung – wie etwa ein kostenintensiver Uploadfilter – nicht Big Tech fördern und Neueinsteiger ausbremsen. Gleichzeitig seien die Prinzipen auch für die großen bestehenden Plattformen einfach einzuführen, da die Technologie vorhanden und ohne großen Aufwand zu implementieren sei.
Der Verfall der Plattformen sei das Ergebnis von Unternehmen, die weder durch Wettbewerb noch durch Regulierung diszipliniert sind und daher ihre Nutzer:innen und Geschäftskunden missbrauchen können – ohne sich vor Abwanderung oder Bestrafung sorgen zu müssen. Nach Meinung von Doctorow könnte die Schaffung von Richtlinien, die Plattformnutzer:innen eine faire Chance und die Möglichkeit einräumt, die Plattform zu verlassen, ein Schlüssel für ein besseres Internet sein.
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Warum plötzlich das?
Wäre das nicht Datenbevormundung?
Was mit mehreren Büchern, warum nicht die Bösen im Buch?
Man kann nicht alle Fälle immer ausformulierten, „sollten“ bei Prinzipien ist eine ziemlich starke Formulierung. Stand da „könnten“ oder „vielleicht“?
An den Autor: Hr. Doctorow wird in der Regel als kanadischer oder kanadisch-britischer Autor angekündigt. Nicht als US.
Richtig. Ist jetzt korrigiert.
Er hat tatsächlich alle drei Staatsbürgerschaften: in Kanada geboren, 2011 „naturalisation“ in UK, seit etwa 2021 (da bin ich mir nicht ganz sicher) auch US-amerikanische Staatsbürgerschaft. In der Vergangenheit hat er sowohl lange in London gelebt, aber lebt derzeit (seit 2015, soweit ich das nachvollziehen kann) in Burbank (Kalifornien), und hatte auch schon seit den 2000ern immer wieder Wirkungsstätten in und um San Francisco/Silicon Valley/Los Angeles gehabt, vermutlich unter anderem aufgrund der Nähe zur EFF. Es ist also etwas kompliziert. Mit kanadisch macht man aber vermutlich am wenigsten falsch.
Das sind fromme Wünsche. Jedes digitale Geschäftsmodell ist jedoch von vornherein als Monopol ausgelegt.
Ich empfehle mehr von Doctorow zu lesen (u.a. pluralistic.net), dann kann man folgen, dass wir verloren sind, wenn wir weiter Monopole als Geschäftsmodelle akzeptieren.
>> dann kann man folgen, dass wir verloren sind, wenn wir weiter Monopole als Geschäftsmodelle akzeptieren.
Ich muss schon bitten! Niemand ist wegen eines Geschäftsmodells „verloren“. Ich finde die Verwendung des „wir“ als intellektuellen Affront im Zusammenhang mit IT-Technologie.
Verloren ist, wer existentiell von einem Monopol abhängig ist, also z.B. verhungern muss. Niemand aber kann mir einreden, von digitalen bzw. sozialen Plattformen derart abhängig zu sein.
Wer Dummheit und Bequemlichkeit der Spezies homo sapiens gewinnbringend auszubeuten weiß, der macht im Kapitalismus alles richtig, zumal es Hinweise gibt, dass sich in dieser Population ein Anti-Flynn-Effekt breit macht.
OK, Boomer.
Einige Texte von Doctorow drehen sich genau darum, dass -nachdem wir Monopole im Digitalen für akzeptabel halten- Monopole in der wirklichen Welt (zB bei Medikamenten) relativ schmerzhafte Effekte erzeugen.
Aber natürlich nicht bei denen, die andere Menschen gewinnbringend ausbeuten.
Also … zur Zeit noch nicht.
>> OK, Boomer.
Die Phrase „OK Boomer“ wird als Erwiderung auf Meinungen älterer Personen, meist aus der Baby-Boomer-Generation, verwendet, welche vom Aussprechenden individuell als engstirnig, veraltet, negativ-abwertend oder herablassend empfunden werden. Häufig handelt es sich dabei um Aussagen, die sich auf den technischen Fortschritt, die globale Erwärmung, die Definition von Minderheiten oder auf allgemeine Einstellungen und Wertvorstellungen der jüngeren Generationen Y und Z beziehen. Bei der Phrase handelt es sich Kritikern zufolge um eine typische Totschlagformulierung im Sinne von „Ok, alles klar“, was hier der inhaltlichen Bedeutung von „Ja ne, ist klar“ gleichkommt.
Philip Engstrand sagt: „OK, Boomer.“
OK, Zoomer.
Erst wollte ich widersprechen: „Meins nicht!“
Aber eigentlich ist es schon liquidiert… mit Privatsphäre und Garantien, kein Quatsch… das ist mit staatlichem Zugriff schon mal nicht mehr drinnen, nicht mal für Kleine, nicht mal bei Computerspielen ohne Chat.
Insofern… Rasenmähen o.ä…
Straight from the ‚Freedom Yesterday‘ boulevard: Looking for TARDIS?
Nope. Looking for the doctor.
Wäre nicht all das; u.a. auch diese 2 Prinzipien; einfach dadurch quasi „erschlagen“ wenn man einfach einen Schritt zurück geht vor die Plattform-itis? Es sollte heute kein großes Problem sein eine Click&Run Website mit Space, Chat, Feed u.s.w. für jeden Nutzer auf einem ihm genehmen Server (Privat, Hosted, userdir, cloud) einrichten zu können. Damit wären die User Herr ihrer Eigenen Daten und Firmen hatten seit jeher eigene WebSites. Ob das alles nun mit Mastodon, XMPP o.a. verbunden wird müsste sich finden. Aber der Haupteffekt wäre doch: Es bricht den Netzwerk-Effekt der Plattformen und diese haben dann keine Verfügungshoheit mehr so wie jetzt.
Ich meine das was die Plattformen hat groß werden lassen ist die Bequemlichkeit der Nutzer die sich nur noch an einer Stelle einloggen und dort alles vorgekaut finden. Mit bekannten Nebeneffekten. Vielleicht wird es Zeit weniger Faul zu sein und die Verantwortung für die eigenen Daten wieder selbst zu übernehmen!
Wäre nicht all das; u.a. auch diese 2 Prinzipien; einfach dadurch quasi „erschlagen“ wenn man einfach einen Schritt zurück geht vor die Plattform-itis? Es sollte heute kein großes Problem sein eine Click&Run Website mit Space, Chat, Feed u.s.w. für jeden Nutzer auf einem ihm genehmen Server (Privat, Hosted, userdir, cloud) einrichten zu können. Damit wären die User Herr ihrer Eigenen Daten und Firmen hatten seit jeher eigene WebSites. Ob das alles nun mit Mastodon, XMPP o.a. verbunden wird müsste sich finden. Aber der Haupteffekt wäre doch: Es bricht den Netzwerk-Effekt der Plattformen und diese haben dann keine Verfügungshoheit mehr so wie jetzt.
Ich meine das was die Plattformen hat groß werden lassen ist die Bequemlichkeit der Nutzer die sich nur noch an einer Stelle einloggen und dort alles vorgekaut finden. Mit bekannten Nebeneffekten. Vielleicht wird es Zeit weniger Faul zu sein und die Verantwortung für die eigenen Daten wieder selbst zu übernehmen!
OBTW. Und wenn User und Anbieter wieder auf eigenen Hosts sitzen ist der Job der Provider wieder nur noch diese beiden miteinander zu verbinden – ohne Eine Plattform dazwischen.
Evtl. löst dies auch Probleme mit Datenmaut und Chatkontrolle so ganz nebenbei. :-)